Gryps besucht innovative KMU – Teil 6: Wie das Modelabel Nikin die Balance zwischen Nachhaltigkeit und Wachstum findet

Im Interview mit Gryps erzählt CEO Nicholas Hänny, wie Nikin als nach­haltiges Mode­label mit unschönen Kompro­missen um­geht und warum eine leben­dige Community ent­scheidend ist.

Vor sieben Jahren ist Nikin als reine Online-Marke gestartet. Die Mützen waren damals noch aus Polyester und wurden in China her­gestellt. Heute zählt das Mode­label aus Lenz­burg über 140 Handels­partnerinnen und Handels­partner, ver­wendet nach­haltige Alterna­tiven wie Poly­lana und greift bei der Produktion auf lokale Ressourcen zurück. Bei Nikin hat sich seit der Gründung viel getan.

Nicht verändert hat sich das Ver­sprechen der Firma: Für jedes ver­kaufte Pro­dukt wird ein Baum gepflanzt und so an der Wieder­auf­forstung mit­gewirkt, über­all da, wo Wälder durch Ab­holzung oder Natur­kata­strophen bedroht sind. Darüber hinaus möchte Nikin nach­haltige Mode bezahlbar machen. Nicht selten kommt es dabei zu Kompro­missen. Im Inter­view erzählt CEO und Mit­gründer Nicholas Hänny, wie er damit um­geht und wieso die Community bei Nikin im Zentrum steht.

Fast jedes Unter­nehmen will heute nach­haltig sein. Wann ist das mehr als nur «Greenwashing»?

Nicholas Hänny: Für mich geht es Richtung Green­washing, wenn eine Firma ein nach­haltiges Pro­jekt durch­führt und stark damit wirbt, obwohl, sagen wir, neunzig Pro­zent der Firma gar nicht beteiligt sind. Wenn jedoch nach­haltiges Handeln fest in der Firma ver­ankert ist – auch wenn dies nicht gross kommuni­ziert wird –, dann ist das für mich ein Zeichen von ehr­licher Nachhaltigkeit.

Wie nachhaltig ist die Mode­industrie?

Nicholas Hänny: Ehrlich gesagt, und das wissen wir, ist die Kleider­branche nicht gerade die nach­haltigste Branche. Einer­seits machen wir Wer­bung und wollen Menschen über­zeugen, etwas zu kaufen. Anderer­seits wissen wir, dass nicht zu viel konsu­miert werden sollte. Es ist nicht ein­fach, die richtige Balance zu finden.

Kommt es häufig zu Kompro­missen?

Nicholas Hänny: Ja, definitiv. Vor ein paar Jahren ver­kauften wir Winter­mützen aus Acryl. Acryl ist sozu­sagen Er­döl – und das wollen wir eigent­lich nicht. Wir haben des­halb ver­schie­dene Materia­lien getestet, bis wir auf Poly­lana gestossen sind. Poly­lana gibt ebenso warm und «ver­hebt» auch quali­tativ. Das Material ist zwar immer noch synthe­tisch, hat aber einen höheren Recyclinganteil.

Ein weiteres Beispiel sind unsere Trink­flaschen – eines unserer ein­zigen Pro­dukte, das nicht in Europa produ­ziert wird. Wir ver­suchen schon lange, einen Her­steller in Europa zu finden. Soweit wir wissen, gibt es aber keinen. Wir bieten die Trink­flaschen trotz­dem an, weil wir glauben, dass das immer­hin dazu bei­trägt, dass Menschen in der Schweiz weniger Plastik­flaschen kaufen. Es ist ein kon­stantes Ab­wägen und Ent­scheiden, wobei nie oder selten ganz klar ist, wie richtig oder falsch ein Ent­scheid tat­sächlich ist.

«Ich bin über­zeugt, dass das Thema Zirkulär­wirt­schaft in Zukunft sehr wichtig sein wird.»Nicholas Hänny, CEO und Co-Founder

Wo sehen Sie heute, da immer mehr Wert auf Nach­haltig­keit gelegt wird, Chancen und Risi­ken für die Modebranche?

Nicholas Hänny: Ein Risiko ist, dass einem Green­washing vor­geworfen wird. In den letzten Jahren hat die Nach­frage nach nach­haltigen Pro­dukten extrem zu­genommen. Covid war eine Tragödie, aber sie hat geholfen, das Ver­ständnis für lokales Ein­kaufen und das Zurück­greifen auf lokale Res­sourcen zu fördern.

Ich bin überzeugt, dass das Thema Zirkulär­wirt­schaft in Zukunft sehr wichtig sein wird. Da geht es darum, den Wert der Pro­dukte und die ver­wendeten Materia­lien so lange wie möglich zu er­halten und wieder einzu­setzen. Aber es wird noch zehn bis zwanzig Jahre dauern, bis die Kleider­branche, zumindest zu einem Gross­teil, zirkulär ist.

Wie weit ist Nikin da?

Nicholas Hänny: Diesen Frühling haben wir das erste hundert­prozentig zirku­läre T-Shirt gelauncht. Es ist aus bio­logisch abbau­barem Polyester und rest­los kompostier­bar. Wir möchten in Zukunft mehr solche Pro­dukte her­stellen und irgend­wann so weit sein, dass kein Kleidungs­stück mehr weg­geworfen wird, sondern immer wieder neu ver­wendet werden kann.

Klingt innovativ! Wie wird Inno­vation bei Nikin gelebt?

Nicholas Hänny: Wir haben eine sehr offene Ideen­kultur. Wir fragen immer wieder nach neuen Ideen und alle Ideen – ob von den jüngsten Prakti­kantinnen und Prakti­kanten oder vom CEO – werden gleich gewichtet. Wir haben auch viele Kreativ­meetings und treffen uns alle paar Monate, um die aktuellsten Ent­wick­lungen anzu­schauen. Dabei achten wir vor allem darauf, dass wir im Material­bereich inno­vativ sein können.

Haben Sie ein Bei­spiel?

Nicholas Hänny: Vor ein paar Wochen haben wir in einem Meeting heraus­gefunden, dass man aus alten Kleidern Möbel her­stellen kann. Wir haben eine Firma gefunden, die das macht, und prüfen nun, ob das Kon­zept für einen Pop-up-Store sinn­voll sein könnte. Für nächstes Jahr über­legen wir uns, eine nach­haltige Regen­jacke aus einer Gore-Tex-Alter­native eines Schweizer Start-ups herzustellen.

Wie geht Nikin bei Koopera­tionen mit Händlerinnen und Händlern vor?

Nicholas Hänny: Anfangs waren wir sehr restriktiv und haben vielen Händlerinnen und Händlern ab­gesagt. Mittler­weile sind wir offener geworden. Wir haben gewisse Kri­terien, auf die wir achten. Würden wir aber nur auf Nach­haltig­keit setzen, wäre es schwierig, die breite Masse zu erreichen.

Nachhaltig­keit hat also nicht oberste Priorität?

Nicholas Hänny: Wir sind überzeugt, dass wir auch grössere Brands inspi­rieren können, sich stärker um die Natur zu sorgen. Ein Bei­spiel ist unsere Partner­schaft mit Ochsner Shoes. Ochsner Shoes ist kein nach­haltiger Brand, aber erst kürz­lich konnten wir mit ihnen coole, vegane Sneakers produ­zieren, die in Europa her­gestellt werden. Dort sind zum Bei­spiel auch die Ver­packungen nachhaltig.

«Wir wollen inspi­rieren statt missio­nieren. Des­halb war uns klar, dass wir die Community auf irgend­eine Weise inklu­dieren und Nikin erleb­bar machen müssen.»Nicholas Hänny, CEO und Co-Founder

Was macht Nikin besser als die Konkurrenz?

Nicholas Hänny: Wir haben ein gutes Ver­ständnis von Online-Marketing und Online-Kommunikation. Wir haben früh bezahlte Facebook-Werbung ge­schaltet und waren die erste Firma, die vor zirka drei Jahren einen Vollzeit-Tiktoker ein­stellte. Was seitens der Kund­schaft häufig bestätigt wird, ist unser authen­tisches, boden­ständiges Image. Das freut uns natürlich.

Nikin hat eine aktive Community. Wie ist das gelungen?

Nicholas Hänny: Wir sind auf Social Media aktiv und zeigen, was andere Firmen selten zeigen: die Gesichter der Menschen, die hinter Nikin stecken. Wir haben prak­tisch alle unsere Produ­zentinnen und Produ­zenten und viele der Orte besucht, an denen Bäume ge­pflanzt werden. Das kommt gut an. Wir führen auch viele Um­fragen in unserer Community durch und beziehen sie so in die Ent­scheidungs­prozesse mit ein.

Worüber kann die Community ent­scheiden?

Nicholas Hänny: Letzte Woche haben wir in einer Produkt­umfrage gefragt, wovon die Leute mehr und wovon sie weniger haben möchten. Wir hatten auch schon Aktionen wie ein Crowd­design, bei dem über tausend Per­sonen ein Design ein­reichten und unsere Community über den Gewinner oder die Gewinnerin ab­stimmte. Dieses Design haben wir dann für ein T-Shirt verwendet.

Wieso ist die Community so wichtig?

Nicholas Hänny: Ich habe einmal gelesen, dass man für einen erfolg­reichen Brand tausend Hardcore-Fans braucht. Das ist mir im Kopf geblieben. Denn am Ende ist es die Community, die die Marke aus­macht – deshalb steht sie bei uns im Zentrum. Seit diesem Jahr haben wir ein eigenes Community-Team, um die Nähe zu ihr noch mehr zu stärken.

Neue Serie: Gryps besucht inno­vative Schweizer KMU

Das ist der sechste Teil der neuen Artikel­serie von Gryps. Wir besuchen ver­schie­dene KMU, um ihr Erfolgs­modell zu ver­stehen. Wie hat sich das Unter­nehmen neu erfunden? Was ist der Business Case? Was sind Chancen und Risiken?

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Nächste Woche porträtieren wir Jomb, eine Vermittlungsplattform für Firmen und Lernende.

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Eine Marke braucht eine Vision: Was ist Ihre?

Nicholas Hänny: Wir wollen inspi­rieren statt missio­nieren. Des­halb war uns klar, dass wir die Community auf irgend­eine Weise inklu­dieren und Nikin erleb­bar machen müssen. Unsere grösste Wirkung erreichen wir nicht, indem wir zwei Millionen Bäume pflanzen. Noch besser ist es, wenn wir Hundert­tausende Menschen dazu inspi­rieren können, sich – zumindest ein bisschen – um die Natur zu sorgen. Das, was wir trans­por­tieren wollen, macht am Schluss viel mehr aus – obwohl die Bäume natürlich auch wichtig sind (lacht).

Wo sehen Sie Nikin in fünf Jahren?

Nicholas Hänny: In fünf Jahren werden wir in Europa hoffent­lich noch bekannter sein. Wir wünschen uns, dass wir in Bezug auf das Akti­vieren einer Community und das Organi­sieren von Events, bei denen es um den Schutz der Natur geht, in der Schweiz zum Vorzeige­beispiel werden. Zudem hoffe ich, dass wir in fünf Jahren einen grossen Schritt in Richtung zirku­lärer Klei­dung gemacht haben. Und dass wir zehn Millionen Bäume gepflanzt haben! Ich bin über­zeugt, das kriegen wir hin (lacht).

Über Nikin
  • Gegründet: 2016
  • CEO und Mitgründer: Nicholas Hänny
  • Mitarbeitende: Rund 40
  • Website: nikin.ch

Seit der Gründung 2016 pflanzt Nikin pro ver­kauftes Produkt einen Baum. Vor Kurzem hat die Firma den Meilen­stein von zwei Millionen Bäumen erreicht. Bei der Pro­duktion der Kleider setzt Nikin auf nach­haltige Alterna­tiven wie Polylana und Bio­baum­wolle und produ­ziert bis auf die Trink­flaschen und Tassen alles in Europa.

    Die Bilder wurden von Nikin zur Verfügung gestellt.

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