Berufliche Vorsorge: Aktuelle Lage, Pensionskassenwechsel und Optimierungsmöglichkeiten
Ein spannendes Webinar zum Thema BVG liegt hinter uns! Viele Fragen, die sich Unternehmen bezüglich der beruflichen Vorsorge aktuell stellen, wurden von unseren Experten Thomas Gerber von der AXA, Patrick Flueckiger von der Baloise Versicherung sowie Oliver Odermatt von der STT PLUS AG beantwortet: Wie lange gibt es die Vollversicherung noch? Wie kann die bestehende BVG-Lösung optimiert werden? Müssen Mitarbeitende einem Wechsel zustimmen? Die Antworten auf diese und viele weitere Fragen haben wir für Sie zusammengefasst.
Wie sieht die aktuelle Situation der Vorsorgeeinrichtungen in der Schweiz aus?
Nachhaltigkeit als neuer Standard
In der Altersvorsorge hat sich ein neuer Standard durchgesetzt: das nachhaltige Anlegen. In der 2. Säule geht es deshalb heute mehr denn je um soziale Verantwortung. Das Ziel ist es, sowohl für die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite eine möglichst optimale Lösung zu finden. Dabei sollen sich die Pensionskassen auf die ESG-Kriterien stützen: Sie sollen ihre soziale Verantwortung wahrnehmen, Gelder bewusst investieren und auch dem Klimaschutz sowie der Klimaerwärmung Sorge tragen. Nicht zuletzt wird von der 2. Säule Transparenz verlangt, d. h. alle Akteure sollen nach klaren Kriterien arbeiten. Dadurch wird das Vertrauen in die Altersvorsorge gestärkt. Ohne dieses Vertrauen wäre die Altersvorsorge schlichtweg nicht denkbar.
BVG Reform 21
Am 8. Dezember 2021 hat der Nationalrat Entscheide im Zusammenhang mit der BVG Reform 21 gefällt. Am 26. April 2022 hat nun auch der Ständerat in der SGK-S die Reform diskutiert. Dabei ist sie in einigen Punkten anderer Meinung:
- Eintrittsschwelle für die obligatorische Versicherung: Der Nationalrat will die Eintrittsschwelle von aktuell 21’510 CHF auf 12’548 CHF senken. Der Ständerat hingegen hat eine Senkung auf ca. 17’208 CHF beantragt.
- Bei der Vereinfachung der Sparbeitragssätze auf nur noch zwei unterschiedliche Sätze von neu 9 % (25 bis 44-jährige) und 14 % (45 bis 65-jährige) sowie der Senkung des Umwandlungssatzes von 6.8 % auf 6 % besteht Konsens zwischen dem Nationalrat und dem Ständerat.
- Kompensation für die Übergangsgeneration: Der Nationalrat ist der Meinung, dass nur diejenigen nach Inkrafttreten der Reform eine Kompensation erhalten sollen, die auch bei den Renten entsprechende Einbussen erleiden. Das würde auf ungefähr 35 % der Versicherten zutreffen. Der Ständerat hingegen ist aus politischen Gründen freizügiger und geht davon aus, dass bis zu 90 % der Versicherten eine Kompensation erhalten würden.
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Wie ist es um die Reserven der Pensionskassen bestellt? Ist das Geld (bald) weg?
In einem Vollvertrag sind Versicherungsgesellschaften dazu verpflichtet, jederzeit sämtliche Leistungen auszahlen zu können. Die Reserven müssen deshalb so geäufnet werden, dass die Auszahlung möglich ist, da sie mit dem Eigenkapital haften. Das ist auch einer der Gründe, weshalb der Vollvertrag kostenintensiver ist.
Sollte eine Pensionskasse Konkurs gehen, dann sind die Gelder bis zu einem Betrag von 129’060 CHF (Stand 2022) pro versicherte Person über den BVG-Sicherheitsfonds geschützt. Dass eine Pensionskasse in Konkurs gerät, kommt jedoch nicht häufig vor, es kam eher zu Fusionen.
Was sind die aktuellen Herausforderungen in der 2. Säule?
Grundsätzlich gibt es zwei zentrale Herausforderungen:
- Die ständig steigende Lebenserwartung: Geht man davon aus, dass der medizinische Fortschritt und die allgemein gesündere Lebensführung sich wie bisher weiterentwickeln, so wird erwartet, dass die Lebenserwartung für jeden Jahrgang um sechs Wochen steigt. Das würde bedeuten, dass sich die Lebenserwartung alle acht bis neun Jahre um ein Jahr erhöht. Das stellt eine Herausforderung dar, wenn das Rentenalter nicht entsprechend angepasst wird.
- Das Umfeld der Finanzmärkte: Hier spielen die Zinsen eine grosse Rolle. Zur Erinnerung: Bevor 2015 die Negativzinsen eingeführt wurden, sind die Zinsen über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren stetig gesunken. Mit der Einführung der Negativzinsen haben sie dann einen Höhe- resp. Tiefpunkt erreicht. In diesem Zusammenhang sind die Renditen, welche die Pensionskassen vorher in den Plänen hatten, mit Verzinsungen von 4 % kaum machbar, es sei denn, es würde alles in Aktien investiert werden. In dem Sinne sind die Beiträge des dritten Beitragszahlers (also der Finanzmärkte) tiefer und werden im Einklang mit den sinkenden Zinsen auch stetig noch tiefer. Das wirft die Frage auf: Was passiert, wenn eine Inflation kommt und die Zinsen wieder steigen? Thomas Gerber geht davon aus, dass in einem solchen Fall die Stiftungsräte gefordert sind, diese Herausforderungen zu diskutieren und in möglichst bewusste und gesunde Entscheidungen zu übersetzen.
Welches ist die passende BVG-Lösung für Ihr KMU?
Auf diese Frage gibt es keine Standardantwort. In der Regel eigenen sich für KMU Sammeleinrichtungen. Hier gibt es die drei Grundtypen: Sammeleinrichtungen mit Vollversicherungsdeckung, solche mit teilautonomen Lösungen und solche mit autonomen Lösungen. Für kleinere KMU kommen vor allem die ersten beiden Modelle infrage:
- Bei einer Vollversicherung werden sämtliche Risiken (Tod, Invalidität, Langlebigkeit und auch das Anlagerisiko) vom Arbeitgeber bzw. von der Arbeitgeberin an eine Lebensversicherungsgesellschaft übertragen. Die Anlage der Vorsorgemittel wie auch die Sicherstellung der Vorsorgeleistungen sind bei diesem Modell Aufgabe und somit auch Risiko des Versicherers. Eine Unterdeckung ist deshalb nicht möglich. Eine solche Lösung bietet also viel Sicherheit und eignet sich für risikoaverse Kundinnen und Kunden. Zu beachten ist aber, dass Vollversicherungslösungen tendenziell teurer geworden sind, so auch für die Versicherer selbst. Das ist wohl auch einer der Gründe, weshalb es heute nur noch fünf Anbieter (Allianz, Baloise, Helvetia, SwissLife, Pax) solcher Lösungen gibt.
- Teilautonome Pensionskassen legen ihr Geld auf eigenes Risiko an, schliessen aber für die Risiken Todesfall und/oder Invalidität einen Versicherungsvertrag mit einer Versicherungsgesellschaft ab. Bei dieser Lösung besteht theoretisch die Möglichkeit, dass die Pensionskasse aufgrund der Börsenentwicklung nicht mehr in der Lage ist, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Kommt es zu einer solchen Unterdeckung und liegt der Deckungsgrad der Vorsorgeeinrichtung unter 100 %, so kann es im Worst Case sein, dass man sich als Arbeitgeber oder Arbeitgeberin mit den Arbeitnehmenden an den Sanierungsbeiträgen beteiligen muss. In guten Zeiten profitiert man dafür aber von höheren Zinsen auf den Altersguthaben und die Prämien sind tendenziell günstiger.
Beide Lösungen haben ihre Vor- und Nachteile. Welches die beste Lösung ist, hängt stark vom Individuum ab: Sind Sie eher risikoavers oder sind Sie bereit, mehr Risiko zu tragen? Welche Lösung ist für Sie und Ihre Belegschaft stimmig, wo fühlen Sie sich wohl? Es bietet sich an, einen Berater oder eine Beraterin hinzuzuziehen, um zu entscheiden, welche Lösung am besten zu Ihrem KMU passt.
Wie können die versicherten Leistungen für Teilzeit- oder Mehrfachbeschäftigte optimiert werden?
Ein Lösungsansatz, um die versicherten Leistungen für Teilzeit- oder Mehrfachbeschäftigte zu optimieren, ist die Anpassung des Koordinationsabzugs. Am Beispiel eines Angestellten mit einem 50%-Pensum gibt es diese zwei Möglichkeiten:
- Der Koordinationsabzug von 25’095 CHF wird entsprechend dem Pensum halbiert. Damit wird der versicherte Lohn erhöht. Der Angestellte hat so höhere Beiträge in die berufliche Vorsorge, spart aber mehr und hat auch höhere Versicherungsleistungen.
- Alternativ kann der Koordinationsabzug komplett weggelassen werden. Dadurch erhöht sich der versicherte Lohn um rund 21’000 CHF. Auch hier bezahlt der Versicherte höhere Beiträge, profitiert aber auch von höheren Leistungen. Es empfiehlt sich aber, vorher sorgfältig zu prüfen, ob diese Lösung sinnvoll ist.
Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin kann den versicherten Lohn im Pensionskassenvertrag anpassen. Die gesetzlich geregelte Obergrenze liegt aber bei 86’040 CHF (Stand 2022). Die einzelnen Leistungen können je nach Anbieter über das gesetzliche Minimum hinaus, an die entsprechende Bedürfnisse angepasst werden. So kann man zum Beispiel bestimmen, wie viel Invaliden- oder Kinderrente man versichern möchte.
Was sollte vor dem Start des Wechselprozesses geprüft werden?
Bevor Sie sich entscheiden, die Pensionskasse zu wechseln, empfiehlt es sich, diese Fragen zu beantworten:
- Ist der Vertrag überhaupt kündbar?
- Wie ist die Altersstruktur der versicherten Personen?
- Gibt es Invalidenrentnerinnen und Invalidenrentner im Unternehmen?
- Gibt es Arbeitsunfähige?
- Gibt es Altersrentnerinnen und Altersrentner?
- Ist der Arbeitnehmervertreter bzw. die Arbeitnehmervertreterin einverstanden und das Personal informiert? (siehe auch unseren Blog zum Thema Pensionskassenwechsel)
- Wie ist der aktuelle Deckungsgrad (teilautonome Pensionskasse)?
- Wie hoch sind die Vertragsauflösekosten?
- Welche Rentnerinnen und Rentner verbleiben bei der Kündigung beim bestehenden Versicherer?
Vor dem Wechsel einer BVG-Lösung sollte man beachten, dass Unternehmen mit Invalidenrentnerinnen, Arbeitsunfähigen oder Altersrentnern für Pensionskassen tendenziell weniger attraktiv sind.
Quellen:
- Gryps Webinar vom 28. April 2022
- Übersichtstabelle zu den verschiedenen Ausgleichsmodellen